News

Aktuelles

Konduktive Förderung - was ist das und was bringt es?

Studentin Nadine Schmitt bildet sich in Konduktiver Förderung weiter.
Nadine Schmitt hat in den USA Konduktive Förderung selbst ausprobiert und ist überzeugt von dem Therapieansatz. Foto: EVHN

Im Oktober 2023 feierten die Konduktiven Bundesverbände Deutschlands in Nürnberg mit über 100 Teilnehmenden an der Evangelischen Hochschule Nürnberg ihr 25-jähriges Bestehen. Das ist kein Zufall: An der Hochschule kann man Heilpädagogik mit dem Schwerpunkt auf dieser Therapieform studieren, die sonst nur in Ungarn und England unterrichtet wird und einen ganzheitlichen und individuellen Ansatz für die Arbeit mit Behinderten bietet. Das heilpädagogische Prinzip, das der Ungar András Petö in der Nachkriegszeit entwickelt hat, ist nicht sehr bekannt. Etwa 110 Konduktorinnen und Konduktoren arbeiten heute in Deutschland - sie alle vereinen in ihrer Arbeit zentrale Bereiche des Berufs von Therapeuten, Lehrkräften und Erzieherinnen. Nadine Schmitt, Studentin im 7. Semester, ist nach einem Praktikum in den USA voll und ganz überzeugt von der Methode, mit der Inklusion von beeinträchtigten Menschen besser gelingen kann.

Frau Schmitt, was hat Sie bewogen, sich in die Konduktive Förderung zu vertiefen?

Im Bachelor-Studiengang Heilpädagogik kann man an der EVHN zunächst in die beiden Schwerpunkte Diagnostik und Konduktive Förderung hineinschnuppern. Im dritten Semester setzt man einen Schwerpunkt. Zuvor hatte ich noch nie von Konduktiver Förderung gehört. Dann wollte ich das praktisch sehen und anwenden, weil es schwer ist, sich aufgrund der Theorie die Wirkung vorzustellen. Ab Anfang 2022 war ich am Conductive Education Center of Orlando (CECO) für fünf Monate zum Praktikum, Anfang 2024 bin ich wieder hingefahren.

Warum gefällt Ihnen die Methode so gut?

Das Menschenbild ist wahnsinnig auf die Stärken des Individuums ausgerichtet und nicht auf Defizite. Wir als Assistenz bzw. die ausgebildeten Konduktoren helfen nur mit ganz kleinen Bewegungen, z.B. nur mit dem Daumen auf dem Handgelenk, der bewirkt, dass sie Hand sich öffnen kann. Das sind kleine Impulse wie eine Berührung an der Ferse, die signalisiert: „Ich hebe jetzt ein Bein“. Man muss nicht viele Bewegungen für die Betreffenden übernehmen, sondern nur Signale setzen, damit die Person das selbst tut. Das sind ganz kleine Berührungen mit wenig Druck. Durch geübte Abläufe und Tagesstrukturen, etwa bei Transitionen, also dem Übergang von einer Betätigung zur anderen, wird die Frustration der Betroffenen extrem verringert.

Ist die Methode in den USA weiter verbreitet als bei uns?

Nicht unbedingt, aber in der Inklusion allgemein sind sie weiter in Amerika. In meiner Bachelorarbeit möchte ich jetzt ergründen, wie diese Rahmenbedingungen (z.B. mehr rechtliche Freiheiten für Eltern in der Frage der Schulwahl) sich auf die Anwendung der Konduktiven Förderung auswirken. 

Wie haben Sie die Kinder und Jugendlichen bei CECO erlebt?

Dort werden die normalen schulischen Inhalte bis zur 5. Klasse vermittelt, der Hauptfokus liegt aber auf den konduktiven Lerninhalten. Das sind Hilfsmittel wie die Petö-Möbel, z.B. ein Sprossenstuhl. Eine konduktive Lerneinheit ist dann, sich eigenständig hinzusetzen. Das erfolgt nach ganz klar festgelegten Abläufen. Jeder Ablaufschritt wird rhythmisch-melodisch angesprochen. Dadurch werden solche Aufgaben in Einzelschritten verinnerlicht und gelernt. Das Mädchen, das ich betreut habe, hat das RET-Syndrom, hat Spastiken und sitzt im Rollstuhl und konnte dann trotzdem vieles selbstständig mit diesen Hilfsmitteln machen. 

Der Erfolg hängt aber sicher sehr von der jeweiligen Beeinträchtigungen ab.

Ja, ursprünglich konzentrierte sich Petö auf Menschen mit Zerebralparese. Mittlerweile werden viele dieser Techniken auf Personen mit anderen Beeinträchtigungen angewendet. Es wird immer wieder versucht, das Kind noch mehr eigenständig tun zu lassen. Es geht also sehr viel aus dem Impuls des Kindes heraus, d.h. man muss sehr genau beobachten. 

Können auch andere Personen aus dem Umfeld diese Techniken lernen?

Ja, da hat die Pandemie tatsächlich Fortschritte gemacht, das CECO hat virtuelle Workshops mit den Familien gemacht, damit die Eltern selbst noch besser damit arbeiten können. Denn in der Konduktiven Förderung baut sehr viel auf persönlicher Beziehung zwischen den Betroffenen und ihren Bezugspersonen auf.

Wie wird der Fortschritt gemessen?

Es werden sehr viele Feedback-Gespräche geführt mit den Eltern und allen Betreuungspersonen. Dann gibt es auch noch eine sehr erfahrene Lead-Konduktorin, die berät. Bei Erstaufnahmegesprächen wird genau notiert, was die Betroffenen schon können. Es ist ein System dahinter, wie welches Kind wann ins Badezimmer geht und wie die Transition erfolgt. In diesen Übergangsmomenten tritt oft Frustration bei den Behinderten auf. Konduktive Förderung schlüsselt diese Transition in ihre einzelnen Schritte auf und macht sie so strukturierbar. Aber Abweichungen von Zeit- und anderen Vorgaben sind völlig in Ordnung. 

Das klingt so, als wäre es extrem personalintensiv.

Dadurch, dass unglaublich viel unterschiedliche Beeinträchtigungsformen im CECO vorhanden sind, braucht man fast eine Eins-zu-Eins-Betreuung. Das Mädchen, das ich betreut habe, kann schon viel selbst, muss aber dabei noch begleitet werden. Wenn eine Konduktorin nur vorne steht und etwas vorführt, jemand die Bewegung aber motorisch noch nicht kann, funktioniert es nicht. Das System muss sehr flexibel bleiben. 

Was wäre Ihr Wunsch mit dieser Erfahrung an die Entscheider in Politik und Verbänden?

Tatsächlich wäre es erstmal schön, wenn es eine anerkannte Ausbildung gäbe. Derzeit geht das nur in England und Ungarn. Bei uns wird es von den Krankenkassen nicht anerkannt. Und man müsste es einfach bekannter machen. 

Interview, Foto: Katharina Erlenwein

 

Informationen zum Bachelorstudiengang Heilpädagogik und Schwerpunkt Konduktive Förderung hier